Die Zeche Auguste Victoria – Rückblick und Ausblick

Von der ersten Schürfbohrung über die Kohlekrise bis zum Ende

Während die Hellweg- und die Emscherzone bereits von der Industrialisierung erfasst waren, wartete Marl noch darauf, mitsamt seinen Kohlevorkommen erweckt zu werden. Ende des 19. Jahrhunderts waren es etwa 20 Bohrgesellschaften, die sich um die Rolle des Prinzen bemühten. Am Ende setzte sich der Düsseldorfer Kaufmann und Kommerzienrat August Stein durch, der zusammen mit dem Ingenieur Julius Schäfer 1897 erfolgreiche Schürfbohrungen im Bezirk Hüls niederbrachte.

Im Jahr darauf wurden die zwei 100-teiligen Gewerkschaften Hansi I und Hansi II zum Grubenfeld Auguste Victoria (AV) konsolidiert. Der Grubenvorstand beschloss den Bau einer Zwillingsschachtanlage mit zwei Doppelschächten. Die Teufarbeiten begannen im Jahr 1900. Schacht AV 1 nahm 1905 die Förderung auf. Im ersten Jahr betrug die Fördermenge 1221 Tonnen Steinkohle. 1906 kam es zur Verbindung mit Schacht AV 2. In jenem Jahr förderten 900 Mitarbeiter 46.772 Tonnen Kohle zutage. 1907 waren es bereits 155.730 Tonnen. Mit der Aufnahme der Steinkohlenförderung war die Bergbauregion Marl wachgeküsst und der Name Auguste Victoria in der Region etabliert. Die Namensgeberin der Zeche, Auguste Viktoria, Prinzessin von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg, war die letzte deutsche Kaiserin und Königin von Preußen. Sie lebte von 1858 bis 1921 und hatte im Jahr 1881 den späteren Kaiser Wilhelm II. geheiratet.

Die Chemieindustrie übernimmt

Anfang des 20. Jahrhunderts zeigte die chemische Industrie Interesse an AV, unter anderem weil sich der Kohlenbedarf dieses Wirtschaftszweiges stetig erhöhte. Und so wurde 1908 der sogenannte Dreibund neuer Eigentümer von AV. Dreibund war der Name einer Interessengemeinschaft aus BASF, Bayer und Agfa, die AV gemeinsam zu einem Kaufpreis von 17,7 Millionen Mark erwarben. Im Außenverhältnis trat die BASF als alleiniger Käufer auf.

Vor Beginn des Ersten Weltkriegs erwirtschaftete eine Belegschaft von etwa 2600 Mitarbeitern circa 715.000 Tonnen Kohle und 296.000 Tonnen Koks auf AV. Die Koksofenbatterie hatte im Jahr 1908 ihren Betrieb aufgenommen. Weitere Expansionspläne waren bereits genehmigt, mussten aber durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs verworfen werden. Von 1923 bis 1925 hemmte die belgisch-französische Ruhrbesetzung den Fortschritt.

Während des Kriegs ergaben sich einige wichtige Entscheidungen für das Bergwerk. So wurde der bisherige Eigentümer, der Dreibund, zur sogenannten Kleinen I.G. Aus dieser Verbindung entstand 1925 die Interessengemeinschaft Farbenindustrie Aktiengesellschaft, kurz I.G. Farben. Zudem trat AV dem Kohlen-Syndikat bei. 1937 verlor Auguste Victoria seine rechtliche Selbstständigkeit und wurde eine Betriebsstätte der I.G. Farbenindustrie AG. Ein Jahr darauf kam es zur Gründung der Chemischen Werke Hüls, mit denen AV eine enge Kooperation einging.

Wie bereits der Erste Weltkrieg stoppte auch der Zweite Weltkrieg die Zukunftspläne von Auguste Victoria. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs beschäftigte AV knapp 8500 Menschen. Die tägliche Förderung belief sich auf etwa 4000 Tonnen Reinkohle und gut 1000 Tonnen Koks. 1945 zerstörte ein Luftangriff Teile der Schachtanlage AV 1/2 und sorgte damit für eine zwischenzeitliche Stilllegung des Werks.

Nur etwa zwei Monate nach dem Angriff nahm das Bergwerk die Förderung auf Schacht AV 3 wieder auf. Die entstandenen Kriegsschäden betrugen etwa acht Millionen Mark. Nach Kriegsende kam es zu zahlreichen Inhaftierungen von Entscheidungsträgern des Rheinisch-Westfälischen Kohlen-Syndikats durch die britischen Besatzer.

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann auf Auguste Victoria die Zeit des Wiederaufbaus. 1946 arbeiteten hier etwas mehr als 3000 Mitarbeiter. Bereits 1957 erreichte die Mitarbeiterzahl von AV ihren Höchststand mit über 11.000 Belegschaftsmitgliedern. Viele davon kamen aus dem Münsterland, aus Orten wie Dülmen, Ahaus oder Gronau. Damit sorgte AV für eine Art Völkerverständigung zwischen dem industriell geprägten Kohlenpott und dem naturverbundenen Münsterland.

Die nächste große unternehmerische Wandlung stand im Jahr 1953 an. Nach der Auflösung der I.G. Farben sicherte sich die BASF das Eigentum an der Gewerkschaft Auguste Victoria. Im gleichen Jahr kam es zur Übernahme aller Anteile an der angrenzenden Gewerkschaft Lippramsdorf. Der Aufstieg setzte sich in den folgenden Jahren weiter fort. So nahm 1960 die Doppelschachtanlage AV 3/7-6 die Förderung auf. Doch schon bald musste sich AV einer verschlechterten Marktlage stellen. Als Reaktion darauf stellte das Bergwerk 1962 den Erzbergbau nach 26 Jahren ein und legte die 1906 eröffnete Zechenziegelei still. Im Jahr darauf beschlossen die Entscheidungsträger die Stilllegung der Kokerei. Die verbleibende Kohlenkapazität allein wäre nicht in der Lage gewesen, AV langfristig am Leben zu erhalten. Die Lösung war mutig, aber erfolgreich. Die Verantwortlichen setzten in diesem schwierigen Umfeld weiter auf Kohle. 1963 stimmte der Aufsichtsrat für eine Verlagerung der Förderung in die nördlich angrenzende Lippemulde.

Butterpause der Teufmannschaft an Schacht 7

1969 wurde die Ruhrkohle AG (RAG) als vereinende Gesamtgesellschaft der wirtschaftlich angeschlagenen Ruhrzechen gegründet. Die BASF weigerte sich, das Bergbauvermögen der Gewerkschaft Auguste Victoria in diese neue Einheitsgesellschaft einzubringen. So kam es zum Kooperationsvertrag zwischen Auguste Victoria und der RAG. Mit Hilfe dieses Vertrags sicherte sich AV die dem Steinkohlenbergbau allgemein zustehenden Hilfen der öffentlichen Hand. Ab 1970 verkaufte das Bergwerk unter dem Namen „AV-Ruhrkohle“ auf eigene Rechnung.

Erst 1991 übernahm die RAG das Bergwerk Auguste Victoria mitsamt den rund 5000 Beschäftigten. AV blieb zunächst ein rechtlich selbstständiges Unternehmen. Die BASF blieb als einer der größten Abnehmer eng mit Auguste Victoria verbunden. Zum damaligen Zeitpunkt war das Bergwerk in einem technisch guten Zustand und entsprechend leistungsfähig. Das sollte einer der Gründe sein, warum AV – neben Prosper-Haniel in Bottrop – als eine der letzten beiden fördernden Zechen des Ruhrbergbaus erhalten blieb. 1993 lag der Planvorrat in den drei Bau­feldern West, Ost und Mitte bei insgesamt rund 126 Millionen Tonnen. Ab 1996 wurde Auguste Victoria als Betrieb der Ruhrkohle Bergbau AG geführt.

Trotz moderner Technik und hoher Leistungsfähigkeit blieb AV von den einbrechenden Weltmarktpreisen Ende der 90er Jahre nicht verschont. So beschloss die Deutsche Steinkohle AG (DSK) im Jahr 1999 den Zusammenschluss der Schachtanlage Blumenthal/Haard mit Auguste Victoria. Noch vor dieser Verbindung erreichte die Fördermenge von AV einen neuen Rekord: 3,54 Millionen Tonnen Kohle förderten rund 4000 Beschäftigte im Jahr 2000 zutage.

Das 2001 entstandene Verbundbergwerk erhielt den Namen Auguste Victoria/Blumenthal. 2006 erzielten die Beschäftigten mit etwa 3,4 Millionen Tonnen das zweitbeste Förderergebnis der Unternehmensgeschichte. Das Grubenfeld umfasste rund 227 Quadratkilometer. Nachdem alle ehemaligen Schächte von Blumenthal/Haard stillgelegt worden waren, blieben die Schächte AV 3/7 und AV 8 bis zum Ende erhalten. Im letzten Jahr vor der Schließung förderten 2000 Beschäftigte über drei Millionen Tonnen Kohle zutage und lagen damit über den für das Jahr 2014 vorgegebenen Förderzielen.

Am 18. Dezember 2015 fuhren die Bergleute ihre letzte Schicht auf Auguste Victoria. Damit verabschiedet sich der aktive Bergbau nach über 100 Jahren aus Marl und hinterlässt eine Stadt, die das Auf und Ab der Branche hautnah miterlebte. Auf Auguste Victoria verbleiben 2016 noch etwa 450 Beschäftigte, die sich um verschiedene Aufgaben rund um die Abwicklung des Bergwerks über und unter Tage kümmern.

Jetzt beginnt der Rückzug

Auch im Jahr 2016 wird auf Auguste Victoria über und unter Tage kräftig angepackt – bei den umfassenden und detailliert geplanten Rückbauarbeiten. Im Dezember 2015 fuhr Auguste Victoria die letzte Förderschicht. Doch damit ist die Arbeit auf dem Bergwerk noch lange nicht beendet. So müssen die Bergmänner im Laufe des kommenden Jahres die untertägigen Bereiche des letzten verbliebenen Baufeldes auf Auguste Victoria ordnungsgemäß schließen. Auch über Tage gibt es eine Menge zu tun, um die zahlreichen Gebäude und Anlagen des Bergwerks der Nachnutzung übergeben zu können. Beides – der unter- und der übertägige Rückbau – braucht seine Zeit. Und so werden Monate vergehen, bis die Arbeiten endgültig abgeschlossen sind.

Der Rückzug von Auguste Victoria ist seit langer Zeit sorgfältig geplant. Dabei ist es von Vorteil, dass die Demontagearbeiten zum Tagesgeschäft der Mitarbeiter von AV gehören. „In einem Bergwerk wird ständig etwas aufgebaut und später wieder zurückgebaut. Von daher haben wir mit Rückzugsarbeiten sehr viel Erfahrung“, sagt Alfons Arentz, Bereichsleiter für Logistik und Infrastruktur auf Auguste Victoria.

Eine Besonderheit gibt es aber doch: Diesmal wird nicht nur ein einzelnes Baufeld abgeworfen – also geschlossen – sondern die Mannschaft demontiert die gesamte Infrastruktur des Bergwerks. Das heißt: Es erfolgt der Abtransport von Maschinen und sonstigen Betriebsmitteln. Auf Auguste Victoria muss die Mannschaft zum Beispiel Bandanlagen mit einer Länge von insgesamt 24 Kilometern sowie die gesamte Elektrotechnik abbauen und nach über Tage fördern. Hinzu kommen schweres Gerät und zum Teil mächtige Maschinen. „Die frühe Planung hilft uns enorm. Wir erwarten sehr stabile Prozesse“, sagt Arentz.

Beim Rückbau spielen die Themen Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle. Beispiel Betriebsmittel: Was kostensparend wieder eingesetzt werden kann, wird entweder vermarktet oder in die noch aktiven RAG-Bergwerke Prosper-Haniel und Anthrazit Ibbenbüren abtransportiert. Dem Umweltschutz gilt ebenfalls ein besonderes Augenmerk. So sorgen die Mitarbeiter von Auguste Victoria dafür, dass alle anfallenden Öle und Fette sowie wassergefährdenden Stoffe ordnungsgemäß beseitigt und entsorgt werden. Die penible Einhaltung der behördlichen Umweltschutzauflagen ist dabei oberstes Gebot. Ein extern zertifiziertes Umweltmanagementsystem sorgt für zusätzliche Sicherheit.

Die Tagesanlagen müssen ebenfalls in einem sauberen, ordnungsgemäßen Zustand übergeben werden. „Ob Kohlenaufbereitung, Werkstätten oder Büros: Über Tage wird der Rückzug genauso geordnet ablaufen wie unter Tage. Dafür sorgt nicht zuletzt die detaillierte Planung unserer Arbeitsgruppen, die sich bereits seit Mitte 2013 mit dem Thema beschäftigen“, sagt Hans Freiherr, Abteilungsleiter Technik über Tage/unter Tage. Eine der wichtigsten Aufgaben beim übertägigen Rückzug: die sichere Verfüllung der Schächte. Los geht es ab August 2016 mit den Schächten AV 8 und AV 9, im November folgen AV 3 und AV 7. Die Mannschaft errichtet in allen Schachtröhren robuste Bühnen, um die Schächte von dort aus bis zur Tagesoberfläche dauerhaft standfest verfüllen zu können. Als Verfüllmaterial kommen Sande aus Haltern am See, vermischt mit Zement, zum Einsatz.

Über die Stilllegung des Bergwerks hinaus trägt die RAG die Verantwortung dafür, dass das Grubenwasser ordnungsgemäß gesammelt und nach über Tage abgepumpt wird. Im Zuge des neuen Grubenwasserkonzepts für das Ruhrgebiet soll das Grubenwasser zukünftig jedoch nicht mehr auf Auguste Victoria abgepumpt und in die Lippe geleitet werden, sondern über untertägige Grubenbauverbindungen zum zentralen Wasserhaltungsstandort Lohberg fließen. Dafür hält die RAG auf Auguste Victoria untertägige Strecken mit einer Gesamtlänge von rund 18 Kilometern frei. Hier werden im Zuge des Rückzugs Rohrleitungen eingebaut, über die das Grubenwasser nach Beendigung der Arbeiten nach Lohberg gelangen und von dort aus dem Rhein zugeführt werden kann.

Gute Aussichten für Schacht 3/7

Die Schließung des Bergwerks Auguste Victoria markiert das Ende von rund 115 Jahren Bergbaugeschichte in Marl. Nichtsdestotrotz wird sich die RAG weiterhin für die Stadt und die Region engagieren. Seit Februar 2013 nehmen RAG und RAG Montan Immobilien ihre Verantwortung wahr, Wertschöpfung und Beschäftigung zu sichern. Gemeinsam mit der Stadt Marl, der Evonik Industries AG als Betreiber des Chemieparks sowie der logport ruhr GmbH, einem Gemeinschaftsunternehmen der RAG Montan Immobilien und der Duisburger Hafen AG, wurden mit einem Förderantrag für eine Machbarkeitsstudie die Weichen gestellt, um einen möglichst nahtlosen und wirtschaftlichen Übergang für eine Anschlussnutzung des Geländes von Auguste Victoria Schacht 3/7 zu erreichen.

Auguste Victoria Schacht 3/7 – Rund 1.000 neue Arbeitsplätze sollen hier geschaffen werden.

Alle Beteiligten wollen das Projektgebiet als Standort mit einer neuen sowohl regional bedeutsamen als auch stadtteilverbundenen Nutzungsstruktur entwickeln und eine nachhaltige Folgenutzung mit den Schwerpunkten Logistik, Industrie und – in den Randbereichen – Gewerbe schaffen. Um die lokalen Potenziale innerhalb des Stadtteils Marl-Hamm dauerhaft zu stärken, werden in einem regelmäßigen Austausch Bürger zu Einzelthemen und zum Projektfortschritt eingebunden.

Seit Mai arbeitet mehr als ein Dutzend Gutachterbüros am ersten Teil der Machbarkeitsstudie, die vom Land NRW aus Mitteln des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) gefördert wird. Untersucht wird ein Gelände in der Bruttogröße von 90 Hektar, das vom aktiven Bergwerk im Süden über die ehemalige Kraftwerksfläche und die Bergehalde bis zum Hafen am Kanal reicht. Die Voraussetzungen für den Erfolg sind günstig: „Die Zwischenergebnisse der Gutachter ermöglichen eine erfreuliche Prognose“, so Volker Duddek, Projektleiter der RAG Montan Immobilien. „Der enge Schulterschluss der beteiligten Partner und die Flächenpotenziale sind eine gute Grundlage dafür, dass der Standort über das Jahr 2015 hinaus eine Zukunft hat.“

Werner Arndt, Bürgermeister der Stadt Marl, ergänzt: „Die ersten Ergebnisse ­zeigen: Unsere Vision für das Areal weist in die richtige Richtung. Wir haben die realistische Aussicht, hier mittelfristig 1000 neue Arbeitsplätze für Marl und die Region zu schaffen.“ Die nächsten Schritte sind bereits geplant. Schon im Juni wurde die Förderung für die Phase II der Machbarkeitsstudie beantragt. Unmittelbar nach Abschluss der Machbarkeitsstudie soll die Bauleitplanung beginnen.

Im November 2014 übergab NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (4. von links) den Zuwendungsbescheid für die Machbarkeitsstudie an Werner Arndt, Bürgermeister der Stadt Marl, in Anwesenheit von Volker Duddek, Projektleiter RAG Montan Immobilien (links), und Jürgen Kroker, Werksleiter des Bergwerks Auguste Victoria (2. von links).

RAG und RAG Montan Immobilien setzten beim Bergwerk Auguste Victoria auf ein Verfahren, das sie erfolgreich unter anderem auch in Hamm beim Bergwerk Ost durchführen: gemeinsame Entwicklungsplanung mit der Kommune und im engen Bürgerdialog. Ein Jahr vor Stilllegung des Bergwerks Ost 2010 wurden in Hamm die Weichen für eine Folgenutzung gestellt. Mit der Erstellung einer städtebaulichen Rahmenplanung zur Folgenutzung, die im September mit den Bürgern diskutiert wurde, nimmt die Entwicklung des Bergwerks Fahrt auf. „Wir haben eine Verantwortung, dieses Bergwerksareal nach vorne zu bringen“, sagt Thomas Middelmann, Projektleiter der RAG Montan Immobilien. „Wir haben jetzt gemeinsam mit der Stadt die Grundsteine gelegt und werden bald fundierte Perspektiven haben, nach denen in Zukunft das Bergwerk Ost neu gestaltet und erschlossen wird.“

Das kulturelle Erbe von Auguste Victoria

Über 115 Jahre Bergbaugeschichte in Marl und der Region hinterlassen Spuren: In der Landschaft, der Kultur und in den Erinnerungen der Menschen bleibt der Industriezweig auch nach der Stilllegung erhalten.

Was bleibt? Diese Frage stellte das Bergwerk Auguste Victoria (AV) seit dem Beschluss der Still­legung immer wieder. Das Bergwerk ist ein fester Bestandteil der Identität Marls. Diese Institution wird nicht pünktlich zum 1. Januar 2016 aus der Stadt verschwunden sein, sondern hinterlässt deutliche Spuren. Spuren in den Köpfen der Menschen, in der Landschaft und im Kulturbereich.

Wer sich auf Spurensuche in und um Marl begibt, kommt am kulturellen Erbe des Bergbaus nicht vorbei. Im Stadt- und Heimatmuseum etwa ist nicht nur die Geschichte der Stadt Marl dokumentiert, sondern auch die Rekonstruktion eines Strebausbaus der Zeche Auguste Victoria zu besichtigen. Das Heimatmuseum wurde von Heinrich Keßler (1847 bis 1956), dem Leiter des Heimatvereins Marl, gegründet. Der Heimatverein Marl e.V. ist aus unterschiedlichen Gründen eng mit dem Bergbau verbunden. Vor allem aber durch den Erzschacht. Während das Fördergerüst des stillgelegten Schachts 4 unter Denkmalschutz gestellt wurde, war die Maschinenhalle zwischenzeitlich vom Abriss bedroht. Eine Untergruppe des Heimatvereins, die sogenannten Erzschachtfreunde, konnte den Abriss verhindern und hatte großen Anteil daran, dass aus der Maschinenhalle ein Museum wurde. Heute wird im Museum die Arbeit der Bergleute über und unter Tage dargestellt. Zudem sind Teile der Halle für Kulturveranstaltungen nutzbar.

Die Erzschachtfreunde des Heimatvereins Marl retteten mit ihrem Engagement die Maschinenhalle.

Eine weitere eng mit dem Bergbau verbundene kulturelle Stätte ist das Theater Marl. Und zwar in der Funktion als Spielstätte der Ruhrfestspiele Recklinghausen. An der Entstehung der Ruhrfestspiele hatten Bergleute der Zeche König Ludwig 4/5 im benachbarten Recklinghausen maßgeblichen Anteil. Diese versorgten im Winter 1946/1947 Hamburger Theatermacher verbotenerweise mit Kohle. Zum Dank gastierten die Theaterleute im Jahr darauf im Ruhrgebiet und legten damit den Grundstein für die Ruhrfestspiele.

Themenrouten zum Bergbau

Das kulturelle Erbe des Bergbaus in Marl lässt sich auch mit Hilfe der „Route der Industriekultur“ erkunden. Marl ist mit einem eigenen Ankerpunkt auf der Route vertreten: dem Chemiepark Marl. Die Zeche Auguste Victoria ist Teil der Themenroute „Industriekultur an der Lippe“, die am Maximilianpark in Hamm startet und am Preußen-Museum Nordrhein-Westfalen in Wesel endet. In Marl streift die Route zudem die Siedlung Brassert und den Flugplatz Loemühle.

Der Bergbau hinterlässt außerdem Spuren im alltäglichen Miteinander. Der Kleingärtnerverein Brinkfortsheide e. V. zum Beispiel hat schon allein durch seinen Namen einen besonderen Bezug zum Bergwerk. Die Kleingartenanlage liegt am Ende der Römerstraße und grenzt an die Halde Brinkfortsheide. Die Gesamtfläche beträgt knapp 20.000 Quadratmeter.

Um den Erhalt der Bergbaukultur  kümmern sich neben dem Heimatverein vor allem der Knappenverein Marl 1969 und der Verein Bergbautradition. Der Knappenverein sieht sich selbst als Träger bergmännischen Brauchtums und unterstreicht dies durch verschiedene Veranstaltungen, Kontaktpflege zu anderen Knappenvereinen und regelmäßige Zusammenkünfte im Vereinslokal. Der gemeinnützige Verein Bergbautradition e. V. wurde im Jahr 2013 gegründet und ist im Bootshaus Marl beheimatet.

Was aber wird nun konkret aus der Fläche des Bergwerks? In der ehemaligen Rohkohlenmischhalle am Standort 3/7 entsteht ein wissenschaftliches Depot des Deutschen Bergbau-Museums Bochum. Zudem sind die Pläne für die Rekultivierung der Halde Brinkfortsheide bekannt. Das Areal der stillgelegten Zeche geht auf RAG Montan Immobilien GmbH über, die sich um die zukünftige Verwendung kümmert. Geplant ist die Ansiedlung von Gewerbe und Industrie. Zu diesem Zweck hat sich die RAG Montan Immobilien mit dem Areal Zeche Auguste Victoria, Schacht 3/7 am europaweiten Architekturwettbewerb „Europan 13: The Adaptable City 2“ beteiligt. Ein Ziel der Teilnahme ist es, Architekten die Möglichkeit zu geben, innovative Konzepte für das Areal einzureichen. Ein weiteres Ziel ist die Umwandlung des Standorts zu einer indus­triellen und gewerblichen Nutzfläche unter Berücksichtigung der Faktoren Nachhaltigkeit, Ressourcenschutz und Energieeffizienz. Und so wird die Verbundenheit von Marl und Auguste Victoria auch nach dem Ende des Bergwerks an vielen Ecken der Stadt aufblitzen. Sei es durch Landmarken, die Feier des alljährlichen Barbarafestes oder durch die Umgestaltung der stillgelegten Areale hin zu neuen, für die Stadt Marl zuträglichen Nutzflächen.

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