Für Experten aus aller Welt war Dorsten eine Hauptstadt der Gastechnik

So hielt 1955 der Künstler Friedrich Gerwin den Aufbau der Steinkohlevergasung in Dorsten fest. Der junge Ingenieur Walter Schulten musste ihn begleiten, “damit auf den Bildern auch technisch alles richtig ist”, wie der damalige Werksleiter sagte.

Zu einem spannenden Ausflug in die Zeit, in der Dorsten ein begehrtes Reiseziel war für Gastechnik-Experten aus aller Welt, wurde der Vortrag von Walter Schulte „Die Steinkohledruckvergasung in Dorsten“ beim heimischen Bergbauverein. Schulte (78) kam als junger Ingenieur 1955 zur 1953 gegründeten Steinkohlengas AG nach Dorsten, erlebte in den 60-er Jahren den Boom des Werkes mit einer Produktion von 6 Mio. Kubikmeter Ferngas täglich und schließlich 1980 die endgültige Einstellung der Gasproduktion in Dorsten, weil das Steinkohlengas gegenüber dem Erdgas nicht wettbewerbsfähig war.

Die Steinkohledruckvergasung in Dorsten – „Das war das einzige Werk dieser Art im Revier und Revier bedeutet in diesem Fall Europa“ referierte Walter Schulte nicht ohne Stolz. Den Vortrag hatte er gemeinsam mit Dr. Gerhard Lapke ausgearbeitet, der die Ausführungen mit vielen Bildern, Grafiken und Texttafeln begleitete, so dass auch Laien kein Problem hatten, die Geschichte des Werkes und die Verfahrenstechnik nachzuvollziehen.

Wie das häufig so ist mit dem sprichwörtlichen „Prophet im eigenen Land“ wusste längst nicht jeder der Zuhörer im Begegnungszentrum Brunnenplatz um die frühere Bedeutung des Gaswerkes, entsprechend überrascht zeigten sich Manche als sie lernten, dass im Gaswerk längst nicht nur Gas produziert wurde, sondern auch zum Beispiel Teer, Dünger, Kohlendioxid fürs Mineralwasser – und in Spitzenzeiten täglich 60 Güterwaggon Asche für den Deichbau an der holländischen Küste.

Natürlich erinnerte Schulte auch an die Bedeutung des Gaswerkes für die Zeche Fürst Leopold, deren Kohle aus den Flözen Erda, Baldur, Freya und Hagen die besten Voraussetzungen für die Veredelung im Gaswerk mitbrachte – diese Kohlequalität war übrigens der Hauptgrund dafür, dass es 1953 zur Gründung der Steinkohlengas AG in Dorsten und dann zum Bau des Werkes kam, das nach der Aufnahme des Versuchsbetriebes 1955 bereits 1957 täglich 1,75 Mio. Kubikmeter Ferngas täglich produzierte.

Die Diskussion nach dem Vortrag bekam einen spannenden Dreh mit der Wortmeldung von Dr. Manfred Groß, der sich als ehemaliger Ingenieur des Braunkohlen-Gaswerkes „Schwarze Pumpe“ (ehemalige DDR) vorstellte und anmerkte, auch die DDR habe ihren Beitrag zur weltweiten Vormachtstellung Deutschlands in Sachen Gastechnik geleistet. Das mit vergleichbarer Technik arbeitende Gaskombinat „Schwarze Pumpe“ hatte in Spitzenzeiten rund 15.000 Mitarbeiter vor Ort hatte und deckte rund 75% des Stadtgasbedarfs der DDR ab.

An die Zeiten der großen Gaswerke in Dorsten und in der DDR erinnert sich Manfred Groß auch mit einem Schmunzeln: „Natürlich wäre ich gerne damals zur Werksbesichtigung nach Dorsten gekommen, aber das ging aus den bekannten Gründen nicht. Wir mussten uns mit der Literatur über das Gaswerk in Dorsten begnügen – und da wurde ja nicht immer die ganze Wahrheit geschrieben.“

Wegen seiner angeschlagenen Gesundheit konnte Walter Schulte zwar nur sitzend referieren, aber das tat seinem ebenso aufschlussreichen wie unterhaltsamen Vortrag keinen Abbruch. Hans-Udo Schneider (links) dankte als Vorsitzender des Bergbauvereins Walter Schulte für seinen knapp einstündigen Vortrag und meinte, der Verein könne sich glücklich schätzen, einen solchen Zeitzeugen eines wichtigen Kapitels der Dorstener Industriegeschichte zu seinen Mitgliedern zählen zu dürfen.

Einen besseren Zeitzeugen für die Gasproduktion in Dorsten kann man sich der Tat kaum vorstellen. Der gebürtige Dorstener – sein Vater war Markscheider auf der Zeche Fürst Leopold – hat sein ganzes Berufsleben bei der Steinkohlengas AG und später bei der Ruhrgas verbracht. Wenn Walter Schulte alte Bilder vom Gaswerk erklärt, dann ist das wie ein Spaziergang an seiner Seite. Lebendige Industriegeschichte.