Geschichte(n) im Hochformat

Ein Hochregal, zehn Tonnen schwer, 34 Gefache, bestückt mit 32 Exponaten und zwei Monitoren – das Leopold-Regal im Industriedenkmal Maschinenhalle Fürst Leopold Dorsten. Im November/Dezember 2016 wurde das Regal aufgebaut und eingerichtet. Mit dem Saisonstart 2017 am letzten Sonntag im März hat der Verein für Bergbau-, Industrie- und Sozialgeschichte Dorsten e.V. diese besondere Dauerausstellung zur Geschichte des Bergbaus in Dorsten und besonders der 2008 stillgelegten Zeche Fürst Leopold der Öffentlichkeit präsentiert. Ein Hochregal als Dauerausstellung?
2012 startete der Verein (rd. 320 Mitglieder, davon etwa 50 Aktive) einen Workshop, um dann in einer ganzen Reihe von Sitzungen ein Ausstellungskonzept für die Maschinenhalle zu erarbeiten. Die Vorgabe: In Form und Inhalt sollte eine solche Ausstellung ein Alleinstellungsmerkmal für den Standort Fürst Leopold sein. Also keine Wiederholung dessen, was es schon auf anderen ehemaligen Zechen zu sehen gibt, also keine letztlich beliebige Präsentation von Pannschüppen, Arschledern oder Grubenlampen. Eine weitere Vorgabe resultierte aus den räumlichen Bedingungen: In einem Maschinenhaus, in dem zwei mächtige historische und denkmalgeschützte Dampfmaschinen stehen, ist kein Platz für Tische und Vitrinen. So kam es zur gedanklichen Anleihe beim Städtebau: Wo die Fläche fehlt, muss eben in die Höhe gebaut werden.
Warum nicht ein Regal? Ist nicht die Maschinenhalle Fürst Leopold – alle anderen noch stehenden Gebäude der ehemaligen Zeche werden heute kommerziell genutzt – der ideale Ort, um jetzt die historischen Regalrechte des Fürstenhauses Salm Salm für die Herrlichkeit Lembeck in ihre Obhut zu nehmen?
Der Workshop, in dem neben Vereinsvertretern auch die Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur als Eigentümerin der Halle, zeitweise Vertreter der Stadt Dorsten und nicht zuletzt mit Prof.Dr. Ulrich Borsdorf der Gründungsdirektor des Ruhr Museums mitgearbeitet haben, machte die Regal-Idee zur Grundlage der weiteren Überlegungen – und definierte so zugleich weitere Vorgaben. Nämlich: Bei einer natürlicherweise beschränkten Zahl von Gefachen wird es nicht möglich sein, die Geschichte von Bergbau in Dorsten oder auch „nur“ der Zeche umfassend zu dokumentieren. Also müssen Schwerpunkte gesetzt werden. Und: Wie bitte schön sollen denn Besucher sich mit einem Exponat beschäftigen, das in acht Meter Höhe in einem Regal steht? Wie sollen die Informationen zu diesem Exponat vermittelt werden? Ein weiterer Punkt: Nicht zu jedem Thema, das angesprochen werden soll, zum Beispiel zur Geschichte der Kolonie Fürst Leopold, gibt es das passende Exponat – können da symbolische Exponate helfen, die gleichzeitig ein wichtiger Beitrag wären, der Ausstellung als Installation eine eigene Bedeutung zu geben?
Der Ausstellungsarchitekt Hannes Bierkämper (südstudio Stuttgart) wurde an diesem Punkt der Diskussion zu einem ganz wichtigen Partner und Mentor für den Workshop. Der renommierte Architekt (Ruhr Museum auf Zollverein, 200 Jahre Krupp sowie Rock und Pop im Ruhrgebiet) brachte die Regal-Idee mit einer Vorauswahl von Exponaten mit ersten Skizzen aufs Papier – das Konzept war endgültig gefunden und beschlossene Sache.
„Ein gutes Konzept“, urteilte die Jury des Geschichtswettbewerbs „War was?“ des Geschichtsforums Ruhr bei der Verleihung eines mit 500 € dotierten Förderpreises. Der quasi Grundstein der Finanzierung überzeugte die NRW-Stiftung Naturschutz, Heimat- und Kulturpflege, das Projekt mit einem Zuschuss von knapp 100.000 € zu fördern. Die Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur sagte die Übernahme der Planungskosten zu – ergänzt mit Eigenmitteln des Vereins und großzügigen Spenden war die Finanzierung gesichert.
Jetzt steht das Regal und ist eingerichtet, das Terminal lädt ein, die spannenden Inhalte am Touchscreen zu entdecken. Was wollen die Gartenzwerge im Regal erzählen? Die Geschichte der zwischen 1912 und 1920 für rd. 5.000 Einwohner gebauten Gartenstadt Fürst Leopold, also die Geschichte der Kolonie. Wofür steht die Satellitenschüssel? Für das Thema Migration – die Jahre, in denen die Häuser „Ohren“ bekamen, der TV-Satellit als Verbindung in die anatolische Heimat. Der Kohlebrocken? Auf Fürst Leopold gefördert und zeitweise Altar in einer evangelischen Kapelle. Der mächtige Schieber? Das Thema Wasserhaltung. Zu jedem Exponat können die Besucher(innen) Texte, Bilder oder auch Videos über den Touchscreen abrufen, zwei zusätzliche Monitore im Regal zeigen Diaschauen aus der Zechensiedlung, Bilder und Clips vom Arbeiten über und unter Tage, vom „Leben auf der Seilscheibe“.
So dokumentiert das Leopold-Regal Geschichte und erzählt Geschichten, zum Beispiel die Geschichte von Kurt Schankat, der 1955 auf Leopold seine Hauerprüfung bestanden hat. Einer von vielen tausend Bergleuten, die im Laufe von fast 100 Jahren auf Fürst Leopold angelegt wurden. Ihnen, ihrer Arbeit und dem, was ihr Arbeitsplatz für die Stadt Dorsten bedeutet hat, ist das Leopold-Regal gewidmet.
Allen, die geholfen haben, dieses Projekt zu verwirklichen, ein herzliches Glückauf.
Gerhard Schute

Technische Angaben
Maße: Breite 5,58 m, Höhe 8,72 m, Tiefe 78 cm
Gewicht: inkl. Exponate ca. 10 Tonnen
Beleuchtung: Powersupply TRBox 1200-24-DMX 36CH, ShipLED Profile T4030
Monitore: Terra LED 2230W Pivot DVI Greenline Plus 22 Zoll
Zuspieler: Video-Player Idal VP200HD
Terminal
Display: iiyama ProLite TF4237MSC-B2AG 42 Zoll
Rechner: Terra PC-Mini 6000V2 Silent Greenline

Regalbau
Planung: Hannes Bierkämper, Architekturbüro südstudio, Stuttgart
Statik: Ingenieurbüro Lars Mastiaux, Dorsten
Konstruktion und Beleuchtung: Tischlerei Wellenbeck GmbH, Düsseldorf
Hardware: audiokonzept support & sales, Ahaus
Software: software entwicklung Felix Geiger, Stuttgart
Ausstellungseinrichtung: Tischlerei Wellenbeck GmbH, Düsseldorf
                                              Ausstellungsbau zehnpfennig und weber, Berlin
Terminal: Tischlerei Wellenbeck GmbH, Düsseldorf

Finanzierung
Konstruktion und Beleuchtung: Nordrhein-Westfalen-Stiftung Naturschutz, Heimat- und Kulturpflege
Planung und Statik: Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur
Hardware, Software und Ausstellungseinrichtung: Verein für Bergbau-, Industrie- und
                                                                                           Sozialgeschichte Dorsten e.V.
Spenden: RAG Aktiengesellschaft, Vivawest Stiftung, Tischlerei Wellenbeck GmbH,
                  Sparkasse Vest Recklinghausen, Volksbank Dorsten eG, Automobilgruppe Köpper Dorsten

Content
Exponate: Verein für Bergbau-, Industrie- und Sozialgeschichte Dorsten e.V.
                    Sachspenden: RAG Aktiengesellschaft
                    Dauerleihgaben: Walter Biermann, Jürgen Bülten, Clarissa Dockhorn, Bernd Fromm,
                                                   Gerd Große Peckum, Horst Hähnchen, Heinz Hansen, Alfred Heiming,
                                                   Dirk Hinz, Thomas Horn, Hildegard Jäckel, Siegfried Karthaus,
                                                   Walter Klein, Elke Klein-Altstedde, Harald Kühn, Siegfried Kutzborski,
                                                   Rita Lensing, Manfred Lohrmann, Rolf Helmut Michalak,
                                                   Eduard Michalski, Adelheid Olesynsky, Günter Rissel, Klaus Peter Schneider,
                                                   Friedhelm Scholten, Ludwig Schonebeck, Horst Schönweitz, Gertrud Tannert,
                                                   Dieter Ufermann, Roland Wiemeier, Frank Wischnewski, Manfred Wissing
Objektfotos: Mark Ansorg, Sabine Bornemann, Gerhard Schute
Fotos: Archiv Walter Biermann, Archiv WAZ, Sabine Bornemann, Volker Jenau, Werner Markus,
            Jürgen Robbert, Gerhard Schute, Jürgen Tempelmann
Texte: Ulrich Borsdorf, Anna Gerhard, Barbara Pötsch, Jürgen Robbert, Gerhard Schute
Redaktion: Ulrich Borsdorf, Gerhard Schute

Viel Lob für das neue Leopold-Regal

Die Opernsängerin Irmke von Schlichting eröffnete zum Saisonstart 2017 in der Maschinenhalle die Feststunde zur offiziellen Vorstellung des neuen Leopold-Regals. (Foto: Claudia Engel, RN)

Mit Operngesang, originell vertonter Ruhrgebietslyrik, einer launigen Festrede und zum geselligen Ende auch noch türkischer Bohnensuppe wurde in der Maschinenhalle Fürst Leopold zum Saisonstart 2017 das neue Leopold-Regal offiziell der Öffentlichkeit vorgestellt. Martina Grote, Geschäftsführerin der NRW-Stiftung Naturschutz, Heimat- und Kulturpflege, und Karl Jasper als Vorstandsvorsitzender der Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur starteten gemeinsam den Rechner, mit dem das Regal (Info-Terminal und Beleuchtung) gesteuert wird. “Verhüllen, um es heute wieder feierlich zu enthüllen, das war bei einer Regalhöhe von knapp neun Metern leider nicht möglich”, so der Vereinsvorsitzende Gerhard Schute.

Das neue Leopold-Regal sollte der Star dieser Veranstaltung sein, aber zunächst einmal zog die Opernsängerin Irmke von Schlichting das Publikum in ihren Bann. “In mir klingt ein Lied…” – das Publikum lag der Sängerin zu Füßen und das nicht nur, weil sich Irmke von Schlichting zeitweilig mit der Dampfmaschine eine besonders imposante Bühne ausgesucht hatte.

 

Für die “Hausherrin” – Eigentümerin der Maschinenhalle Fürst Leopold ist die Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur – begrüßte Karl Jasper als Vorstandsvorsitzender die Gäste der Regalvorstellung. Von Karl Jasper kam dickes Lob für das ehrenamtliche Engagement des Bergbauvereins, der bereits eine Reihe von großen Projekten realisiert habe und zu den starken Partnern der Stiftung gehöre. Das Leopold-Regal sei eine weitere Aufwertung der Maschinenhalle und gebe ihr eine Bedeutung weit über Dorsten hinaus. – Grußworte der Stadt Dorsten überbrachte Christel Briefs, stellvertretende Bürgermeisterin und Vorsitzende im Kulturausschuss. Sie dankte allen Beteiligten und Spendern für dieses wertvolle Stück Erinnerung. Christel Briefs: “Unser Oppa war auf der Zeche. Wenn ich das Regal sehe, kommt mir vieles bekannt vor.”

 

“Geschichte und Geschichten zu erzählen, das ist wichtig.” – So begründete Martina Grote, Geschäftsführerin der NRW-Stiftung Naturschutz, Heimat- und Kulturpflege, die Entscheidung ihres Hauses, das Projekt Leopold-Regal mit einem Zuschuss von 92.000 € zu unterstützen. Nicht zuletzt das moderne Medienkonzept des Regals – auf der einen Seite die mächtige Installation, auf der anderen Seite die Möglichkeit, sich auf dem Touchscreen mit Detailinformationen zu den Exponaten zu versorgen – habe die Stiftung überzeugt.

Fürst Leopold sei, so Martina Grote, für die NRW-Stiftung ein großer Standort. Sie erinnerte damit daran, dass in der Maschinenhalle auch bereits das Projekt Dynamisierung der Dampfmaschine mit einem Zuschuss von 117.000 € unterstützt worden ist. Beide Projekte seien wichtig, um das bergbauliche Erbe zu wahren und beide Projekte seien so angelegt, dass sie auch junge Menschen begeistern und für das Thema interessieren können.

 

Die “Aschegeister” umrahmten die Festrede von Prof. Dr. Ulrich Borsdorf. Ihr Beitrag: Musik und Lyrik zu verschiedenen Gefachen im Regal, denn rd. 150 Gäste können sich nicht gleichzeitig am Regal-Terminal informieren.

Prof.Dr. Ulrich Borsdorf hielt die Festrede zur Vorstellung des Leopold-Regals. Der Historiker und Gründungsdirektor des Ruhrmuseums spannte den Bogen vom Namensgeber der Zeche – er würde sich vielleicht im Grab umdrehen, wenn er wüsste, was heute hier passiert – bis in die Gegenwart. Borsdorf erinnerte an die Zechenvergangenheit des Ruhrgebiets und die Bedeutung, Erinnerungen an diese Vergangenheit zu schaffen. Das Leopold-Regal sei in diesem Sinn in Form und Inhalt bundesweit einmalig und eine Bereicherung für die Museumslandschaft im Ruhrgebiet.

 

Die “Aschegeister” bei der “Arbeit”: Richard Ortmann, Gründer des Soundarchivs Ruhrgebiet, reicht ein kleiner Hammer, um Maschinenteile und Werkzeuge buchstäblich zum Klingen zu bringen. Michael Bereckis mit dem Akkordeon, aber er war auch mit dem Saxophon zu hören. Thorsten Trelenberg steuerte die lyrischen Texte bei – Zeilen zum Grübeln aber auch zum Schmunzeln.

 (Fotos: Jürgen Robbert)

 

Danke – als Vereinsvorsitzender meinte Gerhard Schute, es sei ganz schwer bis unmöglich zu beantworten, wem für dieses Projekt zuerst gedankt werden müsse. Den Geldgebern und Spendern? Also vorweg der NRW-Stiftung Naturschutz, Heimat- und Kulturpflege, weil ohne ihren Zuschuss das Projekt nicht zu realisieren gewesen wäre? Der Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur für ihren wesentlichen finanziellen Zuschuss und die ideelle Unterstützung? Dem genialen Architekten Hannes Bierkämper für seine wegweisenden Skizzen und Anregungen? Den zahlreichen Firmen – vorweg dem Düsseldorfer Schreinermeister Thomas Wellenbeck und seinem Team – für die Ausführung der Pläne im eng kalkulierten Zeit- und Kostenplan? Prof.Dr. Ulrich Borsdorf für seine moderierende Mitarbeit im Workshop Leopold-Regal? Oder den Vereinsmitgliedern, die sich an den verschiedensten Stellen des Projektes engagiert haben? Oder doch den vielen ehemaligen Bergarbeitern, die Exponate zur Ausstellung beigesteuert haben? – Dieses Regal ist ein Gemeinschaftswerk, so Schute, anknüpfend an die Rede von Ulrich Borsdorf.

Und dann servierte er den Besuchern quasi als Vorspeise zur türkischen Bohnensuppe, die Vereinsmitglied Tekin Dagdelen für die Veranstaltung gekocht hatte, ein “Kumpel-Anton-Gedicht”, in dem Vor- und Nachteile einer solchen Ausstellung in Form eines Hochregals launig diskutiert wurden: “Cervinski” meckert in dem Gedicht über den Staub oben im Regal, den man ja gar nicht wegputzen könne; und hört als Antwort von “Kumpel Anton”: Im Denkmal Cervinski, da gibts keinen Staub. Alles watte nicht wegwischen kanns, is Pattina, feinste Pattina

 

Was hat dieses Bild mit dem Leopold-Regal zu tun? Es zeigt eine Arbeit des amerikanischen Künstlers Mark Dion (56), zu besichtigen in einer Bank in Montevideo. Die FAZ berichtete 2012 über Dion – der heute weltberühmte Künstler hat übrigens bis zu seinem 18. Geburtstag kein Museum von innen gesehen – und diesen Bericht las unser Mitglied Axel Steinau nicht nur, sondern er brachte den Ausschnitt als Anregung mit in unseren Workshop Ausstellung.

Im spannenden Dialog mit Prof. Dr. Ulrich Borsdorf entwickelte sich Satz für Satz gruppendynamisch die Idee: Warum nicht eine Ausstellung in Form eines Regals?

Danken wir also Mark Dion für seine Arbeit, Ulrich Borsdorf und dem Workshop, dass sie sich so prächtig inspirieren ließen und Axel Steinau für den anregenden Zeitungsausschnitt. Ist wohl etwas dran an der alten FAZ-Werbung, die mit schönen Bildern immer den gleichen Spruch dekorierte: Hinter dieser Zeitung steckt immer ein kluger Kopf…